SFB Vorsitzender im Interview
Dr. med. Bernd Salzer
„In vielen Facharztbereichen sind GKV-Umsätze nicht mehr kostendeckend“
In Baden-Württemberg werden in der nächsten Woche die Wahlunterlagen an die Vertragsärzte geschickt. Die Kandidaten der Facharztliste um Dr. Bernd Salzer, dem Vorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärztlichen Berufsverbände Baden-Württemberg (SFB), hoffen auf eine erfolgreiche KV_Wahl und viele Sitze in der künftigen Vertretersammlung. Doch was ist den antretenden Fachärzten wichtig? Der änd fragte den Dermatologen aus Heilbronn.
Ich bin seit 28 Jahren berufspolitisch tätig. Zunächst als stellvertretender Vorsitzender im KV Bereich Nord-Württemberg, dann Vorsitzender. Des Weiteren bin ich Mitglied fer Vertretersammlung der KV Baden-Württemberg, seit zehn Jahren ebenso Mitglied der Vertreterversammlung der Bezierksärztekammer und Landesärztekammer – und seit fünf Jahren Delegierter des Landes Baden-Württemberg auf dem deutschen Ärztetag. Auch als stellvertretender Vorsitzender und für eine halbe Legislaturperiode des beratenden Fachausschusses-Fachärzte der KVBW konnte ich viele Erfahrungen sammeln.
Begeistert haben mich dabei die Menschen. Die Menschen, die sich berufspolitisch engagieren in KV und Kammer, haben meist einen hohen ethischen Anspruch und zeigen ein wahnsinnig hohes Engagement, das überwiegend in ihrer Freizeit stattfindet.
Die Zusammenarbeit mit den Hausärzt*innen und Psychotherapeut*innen funktioniert sehr gut. Eigentlich müsste sich mehr erreichen lassen. Aber die politischen Vorgaben wechselnder Gesundheitsminister sind meist nicht mit den Akteuren, die die politischen Beschlüsse im Alltagsleben umsetzten müssen – eben auch uns niedergelassenen Ärzte – abgestimmt. Das heißt, es gibt in der Politik viele Beschlüsse, die an den Bedürfnissen der niedergelassenen Ärzte vorbeigehen. Entgegen den Lippenbekenntnissen der Politik enststeht immer mehr Bürokratie statt weniger.
Wenn man an die Spitze kommt, kann man mitregieren und besser gestallten, als in der Opposition der Fall ist. Es gibt einen Hausarztverband, der im Wesentlichen die Interessen der niedergelassenen Hausärzt*innen vertritt. Medi vertritt hausärztliche und fachärztliche Interessen – und wir sehen uns als der legitime Vertreter der Fachinteressen, auch der kleinen Facharztgruppen.
Es gibt für mich 3 Mega-Themen:
Die Honorierung im fachärztlichen Bereich für die Basisversorgung muss deutlich verbessert werden. Es kann nicht sein, dass eine Konsultation nicht honoriert wird, wenn ein Patient 2. 3. oder 4. Mal in eine Facharztpraxis kommt – wenn nicht gerade ein spezieller Test oder eine spezielle Therapie oder OP durchgeführt wird. In vielen Facharztbereichen sind die GKV-Umsätze bereits jetzt nicht mehr kostendeckend. Auch im GKV Bereich müssen deutliche Gewinne erzielt werden, um den gestiegenen Anforderungen auch den berechtigten Forderungen nach höheren Löhnen gerecht zu werden.
Die Tätigkeiten als niedergelassener Facharzt/Fachärztin muss attraktiver werden. Es muss Gängelei mit Regressen, Zeitüberschreitungen etc. aufhören. Dererlei Kontollinstrumente gibt es nach meiner Kenntnis nur in Deutschland.
Den jungen Kolleg*innen, die sich niederlassen wollen, müssen wir bessere Möglichkeiten bieten, Familie und Berufstätigkeit zu vereinbaren. Mehr Flexibilität bei der Berufsausübung z.B. im Rahmen der Zulassung und Weiterbildung sind hier notwendig.
Zur GOÄ: Wenn in der neuen GOÄ Steigerungsfaktoren wegfallen, sehe ich hierin ein Problem, da die Komplexität und der Zeitbedarf mancher Krankheitsfälle nicht mehr entsprechend abgebildet werden kann. Wenn es nach mir ginge, könnte man die alte GOÄ belassen und besser bewerten und die überfällige Anpassung der Analogziffern in der GOÄ neu festschreiben.
Beim EBM würde ich die pauschalierte Honorierung abschaffen. Jeder Arztbesuch muss bezahlt werden. Das Morbiditätsrisiko kann nicht auf dem Rücken der niedergelassenen Haus- und Fachärzte ausgetragen werden. Die Krankheiten müssen von den Krankenkassen und nicht von den Ärzten bezahlt werden.
Die Selektivverträge haben Vor- und Nachteile. Jede Berufsgruppe, und jeder einzelne Arzt, der einem Selektivvertrag beitreten muss, muss dies für sich selbst prüfen, ob er Vorteile durch einen Selektivvertrag hat. Positiv ist, dass das Geld in Baden-Württemberg bleibt und viele Praxen deutlich mehr Geld bekommen. Es gibt aber auch Fachgruppen und Praxen, wo sich die Selektivverträge nicht rechnen. Daher muss es auch im Kollektivsystem eine faire und gute Honorierung im GKV-Bereich geben.
Eigentlich müssten sich die gute Zusammenarbeit mit einzelnen Krankenkassen im Rahmen der Selektivverträge auch auf die Kollektivversorgung übertragen lassen. Das sehe ich jedoch nicht.
Die Organisationen, sozusagen als Kammer für die Zusammenarbeit aller niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeut*innen sehe ich in einer Körperschaft öffentlcihen Rechts und das ist die KV Baden-Württemberg.
Wir brauchen mehr Flexibilität für Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen einer selbstständigen Niederlassung arbeiten. Wenn man familienbedingt auf einen viertel oder halben Versorgungsauftrag zurückgeht – und nach zwei Jahren wieder ganztags arbeiten will – kann in der Zwischenzeit der halbierte Vertragssitz verloren gehen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Hier müssen flexible Lösungen gefunden werden, die sich an den Bedürfnissen der jungen Kolleginnen und Kollegen orientieren.
Es muss bessere und rechtlich leichter umsetzbare Lösungen geben, dass sich mehrere Ärzte zusammenschließen, um zum Beispiel Geräte gemeinsam zu nutzen und Praxispersonal ebenso. Dies bedarf nicht Investoren getriebenen MVZs überlassen werden.
Investoren wollen Profit erzielen. Das ist legitim. Auch niedergelassene Ärzte in Praxen oder Gemeinschaftspraxen wollen Gewinne machen. Das ist auch legitim. Die Ärzte haben jedoch eine andere Ausbildung und ein anderes ethisches Bewusstsein und schätzen das große Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Und hier sehe ich einen Unterschied – sozusagen eine moralische Grenze, die Gewinnmaximierung bei selbstständigen Ärzten, die die Investoren nicht haben.
Das bedeutet: MVZs gehören in ärztliche Hand, keine MVZ-Kette, sondern MVZs als Einzelbetreiber. Die Mehrheitseigner dürfen keine arztfremden Kapitalgesellschaften sein. Die Hauptanteilseigner müssen Ärzte sein, die im MVZ arbeiten. Diese müssen ach die Mehrheitsentscheider für die Führung und Investitionsplanung dieser Praxisgemeinschaften/MVZ sein.
Ich bin ja auch stellvertretender Vorsitzender des IT-Ausschusses der Landesärztekammer. Tatsächlich wird vieles schöngeredet und wenig funktioniert.
Hier sollte man bei jeder einzelenen Anwendung E-Rezept, e-AU, Daten auf der E-Card, elektronische Patientenakte, viele Praxistest durchführen und nur sinvolle und erprobte Verfahren an die Ärzte übergeben. Die Digitalisierung in der Medizin muss einen Nutzen für den einzelen Arzt oder Ärztin und der Praxis haben. Dies ist derzeit noch nicht der Fall.
Des Weitern müssen wir darauf achten, dass sämtliche Investitionszuschüsse nicht vin IT-Firmen geschluckt werden. Meist bleibt für die Ärzte nach Kosten für die Investitionen und Neueinrichtung einer IT-Strucktur, die meist auch viel Zeit kosten, von den Zuschüssen nichts mehr übrig.
Ich würde Herrn Lauterbach eine „Befriedigend“ geben. Die Bedürfnisse der niedergelassenen Ärzte hat er nicht auf dem Schirm, auch nicht die der niedergelassenen Fachärzte. Seine Entscheidungen zeugen aber von medizinischer Kenntnis.
Bei der Abschaffung der Privatpatienten, d.h. bei der Einführung der Bürgerversicherung befindet er sich absolut auf dem Holzweg. Dies würde die ambulante fachärztliche Versorgung in den Praxen selbstständiger Fachärzte und Fachärztinnen absolut gefährden.
Die Landesregierung Baden-Württemberg könnte in einem Hearing zweimal jährlich den niedergelassenen Haus- und Fachärzt*innen und Psychotherapeut*innen mehr Gehör schenken.
Viele Gesetze enstehen auf Bundesebene. Wo eine Landesregierung eingreifen könnte, sollte dies aber auch getan werden. Des Weiteren könnte die Landesregierung sich an die Spitze berechtigter Forderungen der niedergelassenen Haus- und Fachärzt*innen stellen, auch gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium. Das wäre schon mal ein Anfang.
09.07.2022 6:52, Autor js ©änd Ärztenachrichtendienst Verlag-AG – Quelle: https://www.aend.de/article/218893